Auch wenn sich die Zeiten seit der Premiere von „Belladonna of Sadness“ auf der Berlinale 1973 geändert haben, muss man dennoch attestieren, dass dem Trick- und Animationsfilm nach wie vor eine eher stiefmütterliche Behandlung zukommt, wie es Autor Wolfgang Frömberg in seinem Essay zum Film ausdrückt. Im Vergleich zu den 1970er Jahren sind es heute noch vergleichsweise paradiesische Zustände, wobei vor allem, kann man doch heute durchaus Werken wie „Akira“ oder „Ghost in the Shell“ nachweisen, dass sie thematisch wie auch ästhetisch keinesfalls ein junges Publikum ansprechen. In gewisser Weise legte jemand wie Eiichi Yamamoto hierfür den Grundstein mit seiner vielleicht bekanntesten Kollaboration mit Osamu Tezuka, die 1973, wie auch heute, zeigt, was der Animationsfilm kann, denn „Belladonna of Sadness“ ist nicht nur ästhetisch ansprechend, sondern stellt auf provokative Weise nach der Rolle von Emanzipation und Freiheit in unserem Leben.
Die Geschichte spielt im mittelalterliche Frankreich, in einer kleinen Stadt, regiert von einem despotischen Herrscher und seiner Gemahlin. Jeanne und Jean, Kinder aus gutbürgerlichem Hause, beschließen in diesen Zeiten zu heiraten, doch um den Segen des Landesherren zu erhalten, bietet Jean diesem statt der ersten Nacht mit seiner Gemahlin eine für seien Verhältnisse stattliche Geldsumme an. Der Fürst verspottet die Geste, lässt Jean aus seinem Palast werfen und vergewaltigt Jeanne, wobei er auch seinen Hofstaat dazu anstiftet, Anteil an diesem „Geschenk“ zu nehmen. Als die junge Frau nach Stunden wieder bei ihrem Gemahl erscheint, wollen die beiden das Geschehene einfach nur vergessen, doch in der Nacht wird Jeanne geplagt von schrecklichen Visionen sowie von einem Geist, der ihr erscheint und ihr Kraft verspricht, wenn sie nur an ihn glaubt.
Zwar glaubt Jeanne dem Geist nicht, doch mit der Zeit werden sie und ihr Mann zu angesehenen Leuten in der Stadt, denen auch die wirtschaftliche Not im Lande nichts anhaben kann. Als abermals eine Tragödie das junge Paar heimsucht, tritt der Geist wieder in Erscheinung, will aber dieses Mal für seine Hilfe den Körper Jeannes haben, den sie ihm prompt verspricht. Während das Land immer mehr im Chaos versinkt und Jean aus Kummer dem Alkohol verfällt, wird Jeanne zu einer einflussreichen Person in der Stadt, deren Stellung letztlich gar die der Fürstin übertrumpft. Doch ihr Wohlstand kommt zu einem Preis, denn nicht nur plant die Landesherrin eine Intrige gegen sei, auch der Geist gibt schon bald sein wahres Gesicht zu erkennen.
Auf ästhetischer Ebene hat ein Film wie „Belladonna of Sadness“ viele Ursprünge, wobei Yamamoto immer sehr offen zugab, woher seine und Tezukas Inspirationen für die Geschichte sowie deren Bilder kamen. Neben Jules Michelets „La Socierè“, einem Buch über die Ursprünge von Satanismus und Hexenkult, standen auch die Kunstwerke Gustav Klimts, Tarotkarten sowie Eugène Delacroix‘ bekanntes Gemälde „Die Freiheit führt das Volk“ Pate für die reiche, vielschichtige Bilderwelt des Filmes, der sich ebenso in der erotischen Kunst seine Vorbilder sucht. Viele Sequenzen wirken, noch zusätzlich betont durch die Filmmusik Masahiko Satohs, surreal und bisweilen psychedelisch, denn während ein Bild in das andere übergeht oder sich eine Figur in eine andere verändert, bekommen wir als Zuschauer einen Eindruck von Themen wie Befreiung, Revolution und Emanzipation, mit denen der Film auf erzählerischer wie auch ästhetischer Ebene spielt. Dennoch scheint Yamamotos Inszenierung zwiegespalten ob der zerstörerischen Wirkung dieser Konzepte, mit denen er sich durch die Entwicklung Jeannes auseinandersetzt, zeigt die Notwendigkeit zur Veränderung wie auch das Chaos, die Brutalität und die Gewalt, die entsteht.
Mit historischen Bezügen wie auch auf Märchenliteratur wird das Leben der Protagonisten im Kontrast zu dem als negativ konnotierten System, repräsentiert durch die Fürsten gesehen. Im Widerstreit mit der weltlichen und der übernatürlichen Ordnung, vertreten durch den Geist, der von Jeanne Besitz ergreifen will, geht es immer wieder um den Körper, oder genauer gesagt darum, über diesen Macht auszuüben. So betörend manches Bild auch sein mag, verwebt Yamamoto dies gleichsam mit der Gewalt, die ausgeübt wird oder der Tatsache, dass dies nicht freiwillig, sondern als Demonstration der Macht gesehen wird, wie in der anfänglichen Vergewaltigungsszene Jeannes. Das Bild von der Hauptfigur wie sie in der Mitte zerrissen wird ist deshalb, wie so viele andere in „Belladonna of Sadness“ als symbolisch zu betrachten.
Letztlich ist „Belladonna of Sadness“ ein visuell berauschendes und bis heute faszinierendes Kunstwerk. Eiichi Yamamoto ist ein Film gelungen, der durch die vor ein paar Jahren entstandene 4K-Restauration in neuem Glanz erstrahlt, und nun seine ambivalente, provokante Bilderwelt vollends entfalten kann.